10-Jahre NSU-Entarnung – Kein Vergeben, kein Vergessen!

Gestern war der 10. Jahrestag der NSU-Selbstentarnung. Zu diesem Anlass waren wir in München zusammen mit rund 300 Menschen aus verschiedenen Organisationen auf der Straße um den Opfern zu Gedenken und weiterhin Aufklärung im NSU-Komplex zu fordern. Die DIDF-Jugend veranstaltete die Demo mit der wir am Gericht in dem auch der Prozess gegen Beate Zschäpe und die Mitangeklagten lief. Hier verdeutlichten mehrere Reden das systematische Problem von Rassismus. Es wurde aufgezeigt warum wir uns als antifaschistische Bewegung nicht auf den Staat verlassen können.

Vor der Demo wurden Portraits der neun aus rassistischen Motiven ermordeten Menschen getragen um diese im Vordergrund des Gedenkens zu behalten. Mit Parolen wie “Nazis morden, der Staat macht mit – der NSU war nicht zu dritt” und “Nazis morden, der Staat schaut zu – Verfassungsschutz und NSU” zeigten wir die Verstrickungen und forderten Aufklärung. An der Abschlusskundgebung bekamen auch noch die Geflüchteten vom Protestcamp gegen Abschiebung das Wort.

Wir Gedenken:
Enver Şimşek
Abdurrahim Özüdoğru
Süleyman Taşköprü
Habil Kılıç
Mehmet Turgut
İsmail Yaşar
Theodoros Boulgarides
Mehmet Kubaşık
Halit Yozgat
Michèle Kiesewetter

Anbei ist die ausführliche Rede die wir gehalten haben.
Mölln 1993, Neonazis verüben einen Brandanschlag auf ein von Türkischen Menschen bewohntes Haus, drei Frauen sterben 
Solingen 1993, vier Neonazis zünden das Haus einer türkischen Großfamilie an, 5 Frauen und Mädchen sterben, 14 Menschen werden verletzt 
Düsseldorf 2000: Neonazis befestigen einen Sprengsatz an der S-Bahnstation Werhahn, um gezielt Zuwanderer aus Osteuropa zu töten. Der einzig Verdächtige – ein in Düsseldorf bekannter Neonazi wird wegen dürftiger Beweislage freigelassen
Zwischen 2011 und 2017 werdenlaut Amadeu Antonio Stiftung ingesamt 4389 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte verzeichnet
München, 2016: Ein 18-jähriger Neonazi erschießt am Münchner Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen. Seine Opfer- alle aus Einwander*innenfamilien stammend, wählt er aufgrund ihres Aussehens aus. Über drei Jahre lang behauptet die Staatsanwaltschaft, der Täter hätte aus persönlichen Beweggründen heraus gemordet, während auf seinem Laptop Dateien mit den Namen „Ich werde jetzt jeden Deutsch-Türken auslöschen, egal wer“ und ein Manifest, in dem er von Ausländischen Untermenschen spricht, und sie als Kakerlaken bezeichnet, gefunden werden. Fast Drei einhalb Jahre und vier Gutachten später, stuft das LKA die Tat als politisch motivierte Straftat ein. 
Halle, 2019: Ein Faschist versucht schwer bewaffnet in eine Synagoge einzudringen. Als er scheitert, erschießt er zwei Menschen, und vereltzt zwei weitere schwer. Er hatte vor der Tat ein Dokument ins Internet gestellt, in dem er schreibt, es sei sein Ziel, so viele Anti-Weiße wie möglich zu töten- am liebsten Juden. 
Kassel, 2019 Walter Lübcke, der Kassler Regierungspräsident wird vor seinem Wohnhaus von einem bekannten Neonazi  erschossen. Grund dafür, soll Lübckes Offenheit im Umgang mit Geflüchteten Menschen gewesen sein. Der Täter war dem Verfassungsschutz als NPD Mitglied vertraut, und war regelmäßig an Naziaufmärschen aufzufinden. Er hatte zuvor einen Bombenanschlag auf ein Asylbewerber*innenheim geplant, und war bereits aufgrund von mehrfacher Körperverletzung an migrantischen Menschen vorbestraft.
Hanau, 2020, ein Rechtsextremist erschießt am 19. Februar ingesamt 10 migrantische Menschen in und vor einer Shisha Bar und einem Kiosk. Er nimmt sich nach der Tat das Leben. Einige Fragen sind heute noch ungeklärt. Warum funktionierte der Notruf in der Tatnacht nicht? Wie kann es sein, dass die Polizei den Notausgnag der Arena Bar wissentlich abgesperrt hatte, damit die Gäste bei einer vermeintlichen Razzia nicht flüchten könnten?
Rechtsterroristische und faschistische Anschläge haben natürlich nicht erst 1993 angefangen, und auch die Auflistung hier ist nur eine symbolische. Wir möchten damit verdeutlichen und betonen, dass es keine Einzelfälle sind, dass die Täter*innen keine Einzeltäter*innen sind, sondern aus organisierten Nazi-Kreisen kommen, und überall ihre Unterstützer*innen haben.
Die Bundesregierung hat nach den Anschlägen der vergangenen Jahre ein Paket mit 89 Maßnahmen gegen Rassismus und Rechtsextremismus geschnürt. Darin ist von Investitionen in Forschung und in politische Bildung die Rede, von Diversität im Öffentlichen Dienst oder von mehr Befugnissen für den Verfassungsschutz.
Apropos Verfassungsschutz: 
Heute vor Zehn Jahren, flog die Terrorzelle NSU 2011 in Eisenach nach einem Banküberfall auf. Zwischen 2000 und 2007 haben Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe neun migrantische Menschen getötet, 43 Mordversuche begangen, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle verübt. Beate Zschäpe verschickt nach dem Selbstmord der beiden Männer Bekennervideos zu den Taten. 
Nach Bekanntwerden des NSU, vernichteten einige Beamte des Verfassungsschutz relevante Akten. Daraufhin tritt die Leitung des Bundesamts für Verfassungsschutz und der Landesbehörden Thüringen, Sachsen und Berlin zurück. Auf der Unterstützer*innenliste, die das BKA 2015 erarbeitet hat, wobei die Namen der Unterstützer*innen nicht öffentlich zugänglich sind, stehen laut BKA acht V-Leute des Verfassungsschutzes, und ein V-Mann des Berliner Landeskriminalamtes. 
V-Menschen, die auf Nazi-Kreise und das Umfeld des NSU angesetzt worden waren, verdienten teilweise im 6-stelligen Bereich, während sie sich durch die Szene zu Neonazis entwickelten, und somit auch staatliche Gelder in die Planung und Durchführung von Anschlägen verwendet werden konnte. 
Die These, dass der NSU zu dritt geplant und gemordet haben soll, ist also längst widerlegt. Die deutsche Bürokratie hat besonders in der Aufarbeitung und durch das absolute Versagen von Präventivmaßnahmen, einmal mehr gezeigt, wie weitgehend rassistische Strukturen in Deutschland von bekannten Neonazis hin bis zur Polizei und dem Verfassungsschutz reichen.
Aber auch wir als antifaschistische Bewegung müssen feststellen dass wir im Umgang mit den Betroffenen versagt haben. Schon beim ersten Anschlag auf den Blumenhändler Enver Şimşek, als Ermittlungsbehörden nicht anerkannten, dass es sich bei dem Mord um einen rechtsterroristischen Anschlag handelte, im Gegenteil, die Ermittlungsbehörden ermittelten Jahre lang ausschließlich in Richtung der Familie, nannten die Morde “Dönermorde” und vermuteten ohne jegliche Beweise, dass Şimşek ein Drogendealer gewesen sei. Bereits hier hätte sich die antifaschistische Bewegung klar  positionieren müssen. Und zwar auf die Seite der Opfer und deren Angehörigen. Denn dieses Vorgehen der Behörden hat System, und es ist unser Aufgabe dieses Vorgehen zu erkenn und zu entlarven, wir dürfen uns nicht mit halbgaren Aussagen zufrieden geben. Viel zu lange war es den Angehörigen noch nicht mal möglich, um ihre Familienmitglieder zu trauern, sie wurden als Komplizen und Mitwisser*innen deklariert, gegen Familien wurde  ermittel, sie wurden abgehört und in Verhören immer weiter bedrängt und genötigt. Es wurde ihnen nicht ermöglicht Abschied zu nehmen. Sie wurden alleine gelassen.
Immer wieder meldeten sich Angehörige der NSU Opfer bei den Behörden und teilten diesen ihre Vermutung mit: Dass es sich bei der Tat um einen rassistischen Anschlag handelte, jedoch wurden sie immer wieder abgewimmelt und ihre Vermutungen wurden nicht ernst genommen. Unsere Rolle als antifaschistische Bewegung mussten wir reflektieren. Wir hoffen, dass wir die richtigen Schlüsse daraus gezogen haben. In Fällen wie dem OEZ-Attentat heißt es für uns, gemeinsam mit den Betroffenen zu sagen, was es ist: Rechter Terror!
Klar ist aber auch: Wir sind im Moment nicht in der Lage Naziterrorzellen wie den NSU, die aus dem Untergrund Morde begehen aufzuhalten. Doch der NSU war nicht zu Dritt. Immer wieder werden weitere Teile des Netzwerks sichtbar. Selbst das BKA führte im März 2013 noch an, dass von 129 möglichen Unterstützer*innen ausgegangen werde. Andere Quellen gehen sogar von bis zu 200 Unterstützer*innen aus. 
Das Netzwerk zieht sich von Verfassungsschutz und Polizei über Szenezeitschriften und Bands in organisierte rechte Strukturen, wie Blood an Honour und NPD. Strukturen die weiterhin aktiv sind. Seit Aufdeckung der Zelle im Jahr 2011 bis Sommer 2018 wurden laut Innenministerium beispielsweise 360 Straftaten registriert, bei denen sich die Täter*innen auf die Morde des NSU beriefen und diese verherrlichten. In vielen Fällen wurden Gedenktafeln oder Bänke für die Opfer der Gruppe zerstört oder gestohlen. Im Februar 2017 wurde in Rostock ein Gedenkort mit Farbe überschüttet. 2018 malten Neonazis in Rostock am Ort eines NSU-Mordes ein Herzchen mit der Aufschrift “NSU”. Die Statistik listet weitere Verbrechen auf. So etwa Gewaltandrohungen, Hassreden und die Verleumdung der Erinnerung an Verstorbene. 
Vor Gericht standen von diesen 200 Unterstützer*innen aber nur 4 und selbst die kamen mit milden Strafen davon. Während Wohlleben noch 10 Jahre Haft bekam wurde Carsten Schultze der mit Wohlleben die Tatwaffe beschaffte zu nur drei Jahren Jugendstrafe verurteilt. Schultze hatte die Übergabe der Ceska-Pistole an Mundlos und Böhnhardt organisiert. Holger Gerlach bekam ebenfalls nur drei Jahre. Er hatte eine Waffe übergeben und den Untergetauchten mit falschen Papieren geholfen. Andre Eminger bekam sogar nur zwei Jahre und sechs Monaten. Er wurde am selben Tag aus der Untersuchungshaft entlassen, die das Gericht als nicht mehr verhältnismäßig bezeichnete. Auch wenn es uns langsam klar sein sollte, hat auch dieses Urteil wieder gezeigt: Auf den Staat ist kein Verlass, wenn es um den Kampf gegen Nazis geht.
Der NSU ist dabei kein Einzelfall. Hinter jedem der rechten Täter standen Netzwerke aus Helfer*Innen.  Sie reichen aber auch über das engere Umfeld der Täter hinaus. Teil dieses Netzes ist eine AfD die mit ihrer Hetze und faschistischen Ideologie das Fundament dieser Taten schafft. Aktive Kameradschaftsstrukturen und Naziorganisationen wie der Dritte Weg, die Waffen und alles andere besorgen, was gebraucht wird. Bands und Szene die Geld sammeln um den Terror zu finanzieren.
Und genau dort müssen wir ansetzen. Antifaschistischer Selbstschutz ist nicht nur defensiv. Es geht nicht nur darum, unsere Veranstaltungen und Räume zu schützen. Es geht nicht nur darum, dass Rechte eine Kundgebung oder Demo organisieren und sie dann dabei zu stören. Es geht nicht darum, passiv auf die Aktionen von rechts zu warten um dann in Feuerwehr-Manier zu reagieren. Stattdessen müssen wir selbst aktiv werden und in die Offensive kommen. Die Rechten, die Terror unterstützen sind bekannt. Sei es eine AfD mit ihrer Hetze oder Strukturen die für Geld und Infrastruktur sorgen. Unsere Aufgabe ist es, den Preis für diese Unterstützung nach oben zu treiben. Es darf nicht einfach sein, Nazi zu sein. Und es darf erst recht nicht einfach sein, Unterstützer von rechtem Terror zu sein. Jede Aktion, gegen Strukturen, die rechte Gewalt vorbereitet, unterstützt oder gutheißt ist legitimer Selbstschutz. Und dabei lassen wir uns nicht von diesem Staat vorschreiben, wie unser Selbstschutz aussehen darf. Nicht von einem Staat, dessen Sicherheitsorgane von alten Nazis gegründet und von neuen Nazis durchsetzt sind. Polizei und Verfassungsschutz, die Täter schützen, Akten vernichten und selbst rechte Strukturen mitaufbauen, sogar in den eigenen Reihen. Gerichte, die die Täter, selbst wenn sie mal verurteilt werden mit milden Strafen davon kommen lassen. Ein Staat der stattdessen Antifaschist*innen wie Jo, Dy und Lina in den Knast stecken, weil sie effektiv gegen Rechte vorgehen Sie alle tragen dazu bei, dass Rechte in Deutschland Morden können. Wir müssen selbst entscheiden, was den Faschos am meisten Schaden zufügt und was am besten dazu geeignet ist, sie aufzuhalten.
Das sind große Ziele. Und diese Ziele erreichen wir nicht alleine und vereinzelt. Um Rechten effektiv entgegenzutreten braucht es einen organisierten antifaschistischen Selbstschutz. Wir müssen uns zusammenschließen und gemeinsam die Herausforderungen angehen, die eine wachsende Rechte uns stellen. Genauso, wie wir heute gemeinsam auf der Straße sind, müssen wir gemeinsam zuschlagen, wann immer die Rechten ihre Fratzen zeigen.