Gestern beteiligten wir uns an einer Kundgebung sowohl in Erinnerung an Oury Jalloh, der vor 17 Jahren in einer Dessauer Polizeistelle ermordet und verbrannt wurde, als auch in Gedenken an den rechtsterroristischen Anschlag der “Gruppe Ludwig” auf den Club Liverpool vor 38 Jahren, in dessen Folge die Barangestellte Corinna Tartarotti verstarb. Da bis heute nicht einmal eine Gedenktafel an den Anschlag erinnert brachten wir gestern eine eigene an.
Unsere Rede zum Versagen der Ermittlungsbehörden, zu Polizeigewalt und zur Notwendigkeit von antifaschistischer Organisierung findet ihr hier anschließend.
Erinnern heißt Kämpfen!
Die Gruppe Ludwig war eine terroristische, rechtsradikale, katholisch-fundamentalistische Gruppierung, die über den Zeitraum von 1977 bis 1984 in insgesamt 10 Anschlägen 14 Menschen ermordert und zahlreiche Verletzte in Deutschand und Italien gefordert hat.
Die ungeheure Brutalität, das öffentliche Vorgehen und die klar erkennbaren rechtsradikalen, queerfeindlichen und fundamentalistischen Motive lassen den Aufklärungszeitraum von 7 Jahren als fahrlässig, inakzeptabel und nahezu absurd erscheinen. “Nahezu”, weil dieses behördliche Versagen weder Einzelfall, noch unbekannt ist.
Dabei werden Anschläge wie auf dem Oktoberfest 1980, bei dem 12 Besucher*innen umgebracht wurden, dem NSU oder der benannten Gruppe Ludwig behördlich sowie gesellschaftlich entpolitisiert. So sind selbst 40 Jahre nach den Anschlägen der Gruppe Ludwig weder organisiatorische noch ideologische Vernetzung der beiden Täter geklärt. Auch bezüglich möglicher weiterer Mitglieder wird und wurde nicht ermittelt.
Die Behörden tappen im Dunkeln und reproduzieren regelmäßig sexistische und rassistische Stereotypen indem sie bspw. im NSU “Skandal” Angehörige der Opfer “im Türkenmilieu” verdächtigen und auch Medien durch Begriffe wie “Döner-Morde” benannte Stereotypen befeuern. Die Verweigerung der Offenlegung der NSU Akten bestätigt die politische sowie behördliche Verhamrlosung rechter Netzwerke und kontakariert vermeintliche Absichten zur Aufarbeitung und Prävention solcher Strukturen. Die Ambivalenz des Verfassungsschutzes die größte Gefahr im Rechtsradikalismus zu verorten und im gleichen Zug weder die eigenen Strukturen aufzuarbeiten, noch deren Vorgehen transparent und dezidiert zu benennen ist den Angehörigen der Opfer, den Opfern selbst und marginalisierten Gruppen, die akut gefährdet sind, absolut inakzeptabel und wird von uns nicht geduldet werden.
Aber die Bullen und der VS haben selbst keinerlei Interesse daran, faschistische Struckturen aufzudecken und zu entlarven. Bereits bei der Gründung des VS machten ehemalige SS Männer und hochranige Nazis als “Freie Mitarbeiter” Karriere. Sie waren sogar an der Einstellung von neuen hochrangigen Nazis beteiligt.
Dieser rote Faden, der bei Gründung von Polizei und VS begann, zieht sich bis heute kontinuierlich durch. immer wieder kommt es zu sogennaten “Skandalen” in den Behörden. doch es sind schon lange keine Skandale mehr, denn dass Vertuschen von rechten Struckturen innerhalb und außerhalb der eigenen Reihen hat eine lange Tradition.
Immer wieder fliegen rechtsradikale Chatgruppen von Bullen auf, in denen teilweise Umsturzfantasien und eine Vorbereitung auf den Tag X propagiert werden.
Unter dem Pseudonym NSU 2.0 wurde von August 2018 bis März 2021 Drohschreiben an Rechtsanwält*innen, Opferanwält*innen des NSU und Antifaschist*innen geschickt.
In mindestens 3 dieser Fälle kamen die Persönlichen Daten der Opfer von polizeiinternen Datenbanken.
Immer wieder gab es bei den Ermittlungen in diesem Fall verdächtige Chats von Bullen, diese wurden jedoch immer von den Ermittelnden verschwiegen und vertuscht.
Es wurde trotz starker Beweise abgstritten dass es Hinweise auf rechte Netzwerke in der Polizei gäbe.
Es gab keine Bundesweite ermittlungen gegen die Beamt*innen obwohl diese von vielen Seiten gefordert wurde. Und auch bis heute wurde der Fall immer weiter vertuscht und nicht aufgeklärt.
Zu was das führt, wenn Bullen keinerlei Konsequenzen für ihre Gewalt, Vertuschung und sonstiges zu befürchten haben sehen wir wieder und wieder. Allein seit 1990 starben 203 People of Color in Polizeigewahrsam. Während die Todesumstände oft nicht geklärt oder sogar vertuscht werden und die vorgeschobene Ursache beinahe immer Suizid lautet, ist es in vielen Fällen doch eindeutig.
So zum Beispiel im Fall von Oury Jalloh. Heute vor 17 Jahren wurde Oury Jalloh in einer Zelle einer Dessauer Polizeistation von Polizist*innen verbrannt. Er hat sich, wie wir alle wissen und es oft bewiesen wurde, nicht selbst angezündet. Oury Jalloh – das war Mord!
Das belegen diverse unabhängige Gutachten, so auch eines aus dem November letzten Jahres, bei dem mittels einer realitätsgetreuen Nachbildung der Zelle alle Zweifel aus dem Weg geräumt sind. Dennoch muss sich die Familie sowie die “Initiative in Gedenken an Oury Jalloh” selbst um eine Wiederaufnahme des Verfahrens bemühen.
Dieses wurde zuletzt 2017 eingestellt, die bisherigen Ergebnisse sind erbärmlich. Während einer der Mörder rechtskräftig freigesprochen wurde, musste ein anderer nach dem Urteil “fahrlässige Tötung” ganze 10800€ zahlen. Tatverdacht gegen mehr als die 2 Bullen wurde aufgrund von fehlender Aussicht auf Erfolg gar nicht erhoben. Dass in ebendieser Dessauer Polizeistelle innerhalb der vorherigen 5 Jahre bereits 2 weitere POC unter fraglichen Umständen verstarben und Akten, die Aufschluss über ihren Tod geben könnten von Polizeibeamt*innen vernichtet wurden, wird nicht aufgegriffen.
Das Alles, dieses bewusste, beabsichtige Versagen von Polizei und Justiz bei der Aufklärung von rechten Gewalttaten, das zeigt uns, dass wir uns im Kampf gegen Rechts nicht auf den Staat verlassen können. Wir müssen eigene Strukturen schaffen, uns zusammentun und organisieren. Wir als antifaschistische Bewegung sind noch nicht an einem Punkt, an dem wir rechte Terrorgruppen stoppen können oder rassistische Polizeigewalt verhindern. Dennoch, vielmehr genau deswegen müssen wir mehr werden, stärker. Staatliches Versagen aufzeigen und rechte Gruppen da angreifen wo wir sie treffen können. Selbstschutz organisieren. Unabhängig, solidarisch und konsequent antifaschistisch.